Nix für Lemminge ist eins der Projekte, an denen ich am meisten Spaß gefunden habe. Als Alexandra ankündigte, dass es dieses Jahr eine modifizierte Version geben würde, war ich sofort dabei. Alle anderen Sew Alongs habe ich seit Ende letzten Jahres ausgelassen, da mein Studium und Job mich sehr in Beschlag nehmen. Aber da wir dieses Jahr mehr Zeit zu Verfügung haben werde ich für Nix für Lemminge eine Ausnahme machen.
Die Auswahl des Themas
Zur Themenauswahl stehen Traditionelle Kleidung, Märchen und Men’s Wear.
Traditionelle Kleidung schied sofort aus, auch wenn es das einzige Thema ist, das ich noch nicht gewählt hatte. Folkloristische Inspirationen finde ich durchaus spannend, aber es gibt es zwei Gründe, die für mich dagegen sprechen:
Zum einen sind die Schnitte und Verzierungen, die mir spontan einfallen, nicht meins.
Zum anderen weiß ich persönlich nicht, wo die Grenze zu cultural appropriation beginnt – ich möchte nicht die Traditionen anderer, (ehemals) unterdrückter Kulturen dafür missbrauchen, mir ausgefallene Kleidungsstücke zu designen. Und die deutschen Trachten – naja. Siehe oben: nicht wirklich meins.
Märchen habe ich 2014 schon mal gewählt und eine moderne Persephone dargestellt. Meinen dreiteiligen Las Vegas/Brandon Flowers-inspirierten Hosenanzug habe ich zum Dressmakers‘ Ball 2015 getragen.
So richtig konnte ich mich weder für das eine, noch für das andere Thema erwärmen – beide Themen gefielen mir, aber einen Favorit hatte ich nicht.
Frauen und Macht – kein Wunder, dass die keinen Mann haben
Märchen, da fallen einem natürlich gleich die allbekannten Grimm-Geschichten und -Figuren ein, aber ich wollte weder Rotkäppchen noch Schneewittchen sein. Ich recherchierte nach folkloristischen Geschichten aus der Nordischen Mythologie, aus Irland, Island, fand aber keine, die mich wirklich überzeugen konnten, vor allem, da sie für uns relativ unbekannt sind. Ich wollte etwas mit Wiedererkennungswert, dass man bei betrachten der Kollektion eine Assoziation hat.
Meine Gedanken wanderten zu den bösen Stiefmüttern, Hexen und grausamen Königinnen. Um weibliche Märchenfiguren, die so etwas wie Macht hatten. Die meisten davon haben keinen Mann (mehr) oder haben ihn sich vom Hals geschafft. Und da mit Frauen, die nach Macht(positionen) streben, etwas nicht stimmen kann, werden sie als missgünstig, eifersüchtig und böse dargestellt.
Diesen Figuren stehen die „Guten“ und „Netten“ gegenüber, die als Requisite für die Männer in ihren Geschichten dienen oder da sind, um eine bescheuerte Moral zu illustrieren (mach den Haushalt für sieben Männer, aber nimm keine Äpfel von Fremden an, du gutgläubiges Ding). Die weiblichen Figuren, die eingesperrt, vernachlässigt, davongejagt, manipuliert und misshandelt werden, die ihre Zustände ertragen, ohne Widerworte zu geben, die gehorsam sind und dafür am Ende mit einem Prinzen belohnt werden, der sie aus ihrer Misere rettet.
Märchen-Frauenrollen, auf den Kopf gestellt
Was wäre, wenn diese Figuren nicht mehr mitspielen würden? Wenn Gretel nach dem Sieg über die Hexe in ihr Haus einziehen, wenn Cinderella den Besen in die Ecke werfen und die Stadt verlassen, wenn Schneewittchen zur Waldgöttin aufsteigen, wenn Dornröschen den Bann brechen und die Dornenranken ihrem Willen unterwerfen würde? Was, wenn diese Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen würden?
Genau wie bei Persephone ist auch bei dieser Runde die Kombination von Frauenbildern und Macht ein Motiv. Women in powersuits. Aber Men’s wear allein bot mir, nachdem ich mich schon mit dem Thema befasst und einen Hosenanzug genäht hatte, auch keine Reize mehr.
Seit ich mich mit der Konkretisierung meines Projekts beschäftige, geht mir dieses Zitat nicht mehr aus dem Kopf:
And I wonder what it says about me
that I feel pretty in a dress,
but powerful in a suit.(Baird, Blythe: Girl Code 101. Give Me A God I Can Relate To, Lulu Press, Inc, 2015. (Google Books))
Warum ziehe ich eine Hose und einen Blazer an, wenn ich ernster genommen werden möchte? Und warum ein Kleid oder einen Rock, wenn ich abends ausgehe (mag jedes Quartal mal vorkommen)? Power vs. prettiness, die Verinnerlichung von gender roles und wie sie sich auf der alltäglichen Ebene ausdrückt. Mal ganz davon abgesehen, dass gender nochmal ein ganz eigenes Thema ist: sobald ich kurze kürzere Haare Habe, sind mir Kleider und Röcke zuwider. Es kostet mich dann Überwindung, sie anzuziehen, auch wenn ich eine Woche vorher noch ganz selbstverständlich danach im Kleiderschrank gegriffen habe. Mich zieht es dann eher zu Hosenträgern und Krawatten.
Pläne für die Kollektion
Sobald mir klar war, dass ich mich nicht für das eine oder andere Thema entscheiden muss, fingen auch die Ideen zu sprudeln an. Warum sollte ich meine Kreativität einschränken, wenn dieser „Regelverstoß“ sie viel mehr beflügelte als jedes Brainstorming zu einem Thema?
Meine Kollektion wird aus Märchen und Men’s wear bestehen, wobei die Kleidungsstücke aber mehr oder weniger eindeutig dem einen oder anderen Thema zugeordnet werden können. Eine Vermischung habe ich nicht geplant. Aber wer weiß, was auf dem Weg noch passiert?
Spannend finde ich vor allem, dass ich am Ende zwei Kollektionen haben werde, die scheinbar gegensätzlich sein werden, die Einzelteile aber trotzdem miteinander kombiniert werden können.
Wie oben erwähnt habe ich nicht vor, an vielen Sew Alongs teilzunehmen. Deswegen ist Nix für Lemminge das Ventil für meine Kreativität, auf das ich mich ganz konzentrieren kann – neben meinen allein stehenden Nähprojekten, versteht sich.
Aus diesem Grund bin ich auch schon relativ weit: meine Moodboards sind fertig, meine Entwürfe stehen und zu nähen habe ich auch schon angefangen.
Die größte Herausforderung wird sein, größtenteils Stoffe aus meinem Fundus zu verwenden. Ich habe, wenn die Inspiration da ist und der Entwurf Form annimmt, doch eine sehr genaue Vorstellung von dem, was ich will, und genau diesen Stoff oder jene Farbe im Fundus zu haben ist dann problematisch. Bei NFL möchte ich kompromissbereiter sein.
Meine Moodboards sind öffentlich auf Pinterest, daher möchte ich sie auch nicht vorenthalten – vielleicht wird ja die ein oder andere dadurch inspiriert bei der Ideenfindung.
Genauere Erläuterungen, wie die Boards mit meiner Kollektion zusammen passen und was genau Motive sein werden, gibt’s dann beim nächsten Termin.
Follow Jenny’s board Moodboard: Nix für Lemminge 2016 – Menswear on Pinterest.
Das Link-Up gibt es bei Alexandra – die ganz ähnlich Gedanken wie ich zu den Themen hatte.
P.S.: Von Blythe Baird gibt es auch einen Poetry-Slam-Beitrag von Girl Code 101 auf Youtube.
Steffi/herzekleid
Das klingt sehr spannend! Ich freue mich auf Deine Entwürfe!
Alexandra Gerull
N’Abend,
hachz, irgendwann müssen wir doch mal so richtig was zusammen machen. 😉 Ich bin einmal mehr sehr gespannt, wie Du Deine differenzierten Gedanken zu den beiden Themen in Kleidung umsetzen wirst. Und fühle mcih ja gar nicht unter Druck gesetzt durch Dein „ich hab schon angefangen zu nähen“.
teufelskruemel
Aufmüpfige Märchendamen, die wahlweise im Kleid durchs Land rauschen oder die Hosen auch wortwörtlich anhaben. Bin gespannt, wie diese beiden Kollektionen kombinierbar sein werden. LG, Ulrike
Prinzenrolle
Klingt vielversprechend. Viel Erfolg + Spaß!
Gerlinde
Bin auch neugierig. Schon mal Mode(lle) des Hauses ‚Alexander McQueen‘ hierzu angesehen?
Ausserdem hier die ‚moderne Schneewittchen-Version‘: Euro 800 p.M, Miete bitte; Kaution 3 x diese Summe = beides vorneweg.
Essen (kaufen/kochen) – bis wir als Prinzessin einen neuen Job gefunden haben – entfaellt?
ZUsaetzlich: hat sie gefolgt 😉 ?
LG, Gerlinde,
welche hofft, hier nicht eine olle Gender-Kampf-Story zu erleben, da eigentlich mM tod, toder, am todesten – auch Maenner sind nur Menschen! Notfalls muss man ihnen etwas beim ‚Sehen und Denken‘ helfen; jedoch am besten: einfach stehen lassen – next one = neue Chance neues Glueck.
Jenny
Falls mein Text irgendwo Assoziationen zu „Gender-Kampf“ weckt war das unbeabsichtigt. Mir geht es nicht um die Dominanz über Männer oder was du befürchtest hier zu finden. Dass Männer Menschen sind, ist mir bekannt, und mir geht es bei diesem NFL-Thema weniger um die systemische Benachteiligung von Frauen, die faktisch real ist, als um meine eigene Identität und wie ich diese mit den (von mir so empfundenen) einzwängenden Geschlechterrollen und -bildern vereinbaren kann.
Ich bin nicht dafür da, Männer zu bilden: educate your fucking self. Sie sind keine Kinder, denen man beim „Sehen und Denken“ helfen muss – von Menschen erwarte ich, dass sie selbst ihren Verstand einschalten und richtig von falsch unterscheiden können. Soziale Kontakte sind für mich auch kein Glücksspiel, das ich so lange durchführe, bis ich mit dem Resultat zufrieden bin. Mein Glück habe ich auch alleine.
Gerlinde
Na dann: auf geht’s mit dem Naehen = I’m going to educate MY fucking self by happily watching you – as quite sometimes done so in the past.
LG, Gerlinde
Anne
Jenny, super! Ich freu mich ja schon so auf die Resultate. Irgendwann war in der CUT doch mal eine Vorstellung des Labels Minimarket drin. Ich erinner mich, dass da ein Gruppenfoto mit einer gesamten Kollektion zum Thema Märchen drin war – mit unter anderem sehr jennyesquen Teilen, wenn ich das jetzt mal so sagen darf 😉
Yva
Klingt auch sehr reizvoll! Ich habe gleich ein paar Bilder vor Augen, wenn ich Deine Szenen mit den rebellierenden Märchendamen lese…
Liebe Grüße